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Breite: 295 mm, Höhe: 400 mm
c
Decke: Buchbinderleinen, naturgefärbt
Buchblock: 240g Silberburg Tiefdruckbütten
Quart mit Büttenrand
16 Seiten
Handschrift
Entstehung: 2020
wide: 295 mm, high: 400 mm
cover: Linen eco-dyed
24og handmade paper,
16 pages
handwriting, 2020
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Nachtmeerfahrt
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Ich biege Mädesüß zur Seite und
schlüpfe vorbei.
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Ich biege Rainfarn zur Seite
und schlüpfe vorbei.
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Ich biege Beinwell zur Seite
und schlüpfe vorbei.
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Ich biege das Brombeerdickicht
auseinander und schlüpfe hinein.
So ziehe ich
immer tiefer in die Wildniss und verwische ich meine
Spur. Die Eibenbeerenmarmelade kocht.
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Meine Stirnlampe brennt, denn
es ist düster hier. Eine grüne Düsternis im Schatten
des Lavaberges. Feucht vom Atem des Mooses und der
Kühe, die verstreut zwischen den Binsen misstrauisch
die Köpfe heben, wenn ich vorbei schleiche. Ihre
Augen, mit weißen Sicheln folgen mir, bis sie die Köpfe
wieder senken und ihre weichen Münder weiter rupfen.
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Mit meinem Messer schneide ich
mir einen Weidenast. Ich drehe eine Schnur aus
Hopfenstengel und sammle die Federn von Krähen und
Eichelhähern. Aus dem Feuerstein schlage ich eine kleine
Flamme, die binde ich an meinen Zweig, die binde ich zum
Pfeil. So wehrhaft bin ich, wenn sich die Weißdornhecke
über mir schließt.
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Keine Beute bin ich für alle, die
mich verfolgen, die ihre Hunde auf meinen Geruch setzen,
denen ich meinen schwarzen Giftpfeil entgegne.
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Mit
ihrem letzten Schrei gebiert die sterbende Vergangenheit
eine giftige Zukunft, die schleudert sie mir voraus. Darum
verwische ich meinen Spuren und richte die Zweige hinter mir
wieder auf. Kein Blatt soll meinen Weg verraten, und
alle, die nach mir kommen, sollen sagen: Hier ist schon
lange niemand mehr entlang gegangen.
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So
streift mein Kopflicht durch den Farnstengelwald, auf
meiner Such nach einer Schlafstadt, einer Höhle, vor der
eine andere wacht, vor der eine Hündin wacht. Eine
Höhle im Muschelkalk, vor der die Frauen tanzten, einmal
im Jahr, wenn sie ihre Männer und die kleinen Kinder
verließen für Unsagbares, Undenkbares wohl aber
Singbares.
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Die
Knochen und Knöchelchen verstreut um ihre Feuerstelle
sammle ich und baue daraus das Skelett eines Gedichts.
Eines Gedichts, das durch die Jahrtausende tönt.
Dem das Fleisch von den Knochen geschabt und gefressen
wurde, dem das Feuer noch den Rest des Zartes und
Vulnerablen weggebrannt hat. |
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Die
von Kalk überzogenen Knöchlein sammle ich, weil sie sich
erinnern an den Rhythmus des Stampfens, den Schrei der
Gebärenden, deren Milch an die Decke spritzte und zu
Stalaktiten gerann.
Das Skelett ihres Gedichts,
meines Gedichts, führe ich mit mir auf meiner Fahrt
gen Norden.
©
Tanja Leonhardt |
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Rückseite |
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zur
Bücherauswahl
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