Seidensprache in Natur
oder: die Bewegung der Zeichenkette
![]() |
20. 9. - 10.10 2011 Zentralbibliothek Frankfurt a.M.
17. 5. - 7. 7. 2013 im Klingspor Museum der Stadt Offenbach
published in "Lake", Journal of Arts and Environment of the University of British Columbia Okanagan (No. 8) The movements of the chain of signs For about one year, the letter artist and writer Tanja
Leonhardt created large size, coloured silk webs, featuring both
lettering and pictures.
|
|
|
Einige Fragen vorab: -
Was macht die Darreichungsform mit Schrift, mit dem Text? -
Wie eng sind die Grenzen unserer Erwartung an die Form
gesteckt, in der Schrift und Inhalt sich präsentiert? -
Und wie weit kann man diesen Horizont ausdehnen? -
Was geschieht an den äußeren Grenzen der Lesbarkeit mit
der Textbotschaft? -
Geht sie
verloren? Löst sie sich einfach auf? -
Oder gleitet sie hinüber in andere Sinnzusammenhänge? -
Bleibt sie bei einer radikalen Vermischung von Aussagen
und Kontexten stets nur sie selbst oder verändert sie sich, nimmt tatsächlich
einen anderen Wert an? -
Ist die Summe dieser Aussagen nur ein Sammelsurium oder
etwas Neues? -
Können die zufälligen und gesteuerten „Bewegungen der
Zeichenkette“ (Derrida) am ausgefransten Horizont der Lesbarkeit
hilfreiche Aussagen über die menschliche Befindlichkeit in der Welt
machen?
|
![]() |
|
|
![]() |
KONTEXTE „Die Welt ist mehr als nur das Sprachspiel“
(Wittgenstein) Die Seele liest beständig Allegorien und Chiffren
aus der Natur heraus. Sie erkennt in den Situationen der Natur sublime
und hoch differenzierte Entsprechungen ihrer selbst. Sie nimmt diese als
wahr an und kann sich dadurch wie in einem Spiegel selbst wahrnehmen.
|
|
|
AHNEN & VERWEISEN Was unterscheidet letztendlich einen Gedanken von
einem Wald oder einem Ozean? Ich kann den Unterscheid nicht mehr finden.
Vielleicht ist ein Wald ein einziger großer und extrem logischer
Gedanke, in einer Schrift notiert, die wir nur insoweit lesen können,
als es unsere Wahrnehmungsorgane erlauben.
|
![]() |
|
|
![]() |
Seit
einigen Jahren fertige ich großformatige, farbige Seidenbahnen mit
Schrift- und Bildinhalten an. Diese installierte ich in der Natur, in
den im Verlauf der Jahreszeiten sich
ständig wandelnden Situationen und Atmosphären. Seit
langem ist Seide mein bevorzugtes Material. Der transparente Stoff
erlaubt es auf ganz eigene Weise, gedankliche Inhalte tatsächlich “in
den Raum” zu stellen. Das Gemeinte - was es ist, kann nie ganz
ausgedeutet werden - ist im Raum anwesend und doch fast nicht. Es hängt
im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft.
Gleichzeitig ist Seide dem natürlichen Zerfallsprozess
unterworfen, und auch auf diese Weise ist die Präsenz des Dargestellten
dem Vergehen ausgesetzt. Die
Zeichenebenen durchdringen sich, scheinen untereinander hervor und
durch. Wind oder Wasser mischen sie, rollen sie ein, ordnen sie immer
wieder neuen Kontexten zu. Die Sprachen raunen nebeneinander und sind -
wie sonst nur in der Musik möglich - gleichzeitig wahrnehmbar und
verstehbar.
|
|
|
![]() |
Die
outdoor-Installation haben jeweils nur eine kurze Dauer im Verborgenen.
Es entstehen hierbei neben Fotografien auch Videos, die den eigentlichen
Abschluss und Höhepunkt des Gesamtprojekts darstellen und u.a. auf
youtube zu
sehen sind. Im
Moment der Installation bin ich wach für Windstärke und -richtung,
Lichteinfall, Sonnenstand, Wolkenform und -geschwindigkeit, Temperatur
und Feuchtigkeit, Geräusche und Tiere, die am Rande des Blickfelds
auftauchen. Ich nehme die Situation sachlich wahr, checke alle
Kriterien, die für mein Video relevant sind und habe nach einer Stunde
der Arbeit ein starkes, vertrautes Gefühl für diesen einzigartigen
Ort, das ich in dieser Intensität und Genauigkeit vorher nicht kannte.
Und trotzdem, wie viele Informationen verbirgt der Ort vor mir, die ich
abzufragen nicht gelernt habe, für die ich nicht einmal ein Sensorium
besitze? Doch immer wieder bin ich von der Selbstverständlichkeit
ergriffen, mit der der Ort meine Seide (meinen Geist) annimmt. Durch
von Wind oder Wasser verursachten Bewegungen, unterschiedliche
Lichtsituationen etc. sind die Texte nur fragmentarisch lesbar. Die
Bilder (Eidechsen, Libellenlarven, etc.) entwickeln eine unvorhersehbare
Eigendynamik, wobei sie nicht die Natur nachahmen wollen, sondern
deutlich machen, dass es sich um abstrahierte Reflexionen des ursprünglichen
Naturphänomens handelt. Es hat bereits die menschliche Seele
durchlaufen, wurde befrachtet mit emotionalen Gehalten und kann dadurch
nicht mehr Natur “erster Ordnung” sein sondern nur noch auf der
Zeichen- und Symbolebene existieren, so wie es auch für den modernen
Menschen keinen Ort mehr gibt, an dem er sich als natürliche Kreatur in
einer ursprünglichen Umgebung empfinden kann. Einer der entscheidenden
Schritte des Menschen auf seinem Weg in sein naturfernes Exil ist die
Entwicklung der Sprache und nachfolgend der Schrift.
|
|
|
Sprache
wird auf meinen Seidenarbeiten in ihrer Erscheinungsform Schrift der
Natur wieder eingegeben. Hier ist etwas, das gehört nicht hier her.
Oder vielleicht doch? Sprache ist Teil des menschlichen Bewusstseins,
welche sich jedoch von den Sprachen der Natur abgespalten hat und nicht
mehr vereinbar scheint mit den Bedingungen und Kommunikationsformen dort
draußen. Dennoch ist sie auf den Tüchern präsent, lässt sich dabei
weder ganz der einen, noch ganz der anderen Lebenswelt ganz zuordnen. Die
Unlesbarkeit von Texten auf im Wind wehender oder im Eis eingefrorener
Seide fordert den Betrachter auf, seine Erwartungshaltung aufzugeben und
sich auf andere Kanäle der Wahrnehmung zu besinnen.
Die Unzulänglichkeit von menschlicher Sprache in inhumanen
Kontexten wird offengelegt, jedoch, die Leerstelle, die im Sinngefüge
der Zeichen gerissen wird, wird im gleichen Moment von etwas anderem
geschlossen. Kein Platz innerhalb der Zeichenkette darf leer bleiben,
ein Sinn-Vakuum dulden weder das Denken noch die Natur. Trotz aller Unwägbarkeiten
befinden wir uns noch immer im Universum der Sprache, vermittels einer
Schrift, deren nicht dechiffrierbare Präsenz sich als Primer von
eigener, innerer Gestaltungstätigkeit erweist.
|
![]() |
|
|
Die Arbeit hebt
nicht auf die Unvereinbarkeit der Antipoden ab, vielmehr scheint in
dieser Art der “Versuchsanordnung” eine Befriedung der Gegensätze
auf. Was
uns bei Schrift als eindeutig definierter, hermetisch fester Boden
der Tatsachen erscheint, erweist sich bei genauem Hinsehen als
transparente, diffusionsfähige Schicht (vergl. J. Derrida).
Osmotische Wechselbeziehungen von Sinnbezügen finden
permanent statt,
Kunst nimmt lediglich Granfärbungen vor. Hinter der Schrift flüstern
die Dinge. |
|
Idee und Wirkungsweise: Seit langem ist Seide für mich ein bevorzugtes Material. Ihre transparente und zugleich kostbare Anmutung sind wichtige Attribute meiner künstlerischen Aussage. Die durchscheinende Seide erlaubt es mir, geistige Inhalte in Bild und Wort tatsächlich “in den Raum” zu stellen. Das Gemeinte - was es ist bleibt stets nicht ganz ausgedeutet, im Unausgesprochenen - ist im Raum anwesend und doch fast nicht. Es hängt in der Luft. Die fragile Transparenz des Stoffes überträgt sich als immaterielles Attribut auf die Inhalte. Gleichzeitig ist Seide dem natürlichen Zerfallsprozess unterworfen, und auch auf diese Weise ist die Präsenz des Dargestellte der Bedrohung des Verschwindens ausgesetzt. Dennoch weist Seide kurzzeitig erstaunliche Widerstandsfähigkeit auf. Die Zeichenebenen durchdringen sich, scheinen unter/hintereinander durch, hervor. Wind oder Wasser mischen sie, rollen sie ein, ordnen sie immer wieder neuen Kontexten zu. Die Sprachen raunen nebeneinander und sind - wie sonst nur in der Musik möglich - gleichzeitig wahrnehmbar und verstehbar.
|
![]() |
|
|
![]() |
Anthropozentrisch Natursituationen
sind für mich immer ein Spiegel der menschlichen Seele, eine
Form des sich Wiedererkennens und eine Ausdrucksfindung für
die verborgenen Prozesse der menschlichen Seelentätigkeit.
Die Szenerie, die ich vorfinde, kann Entsprechung sein für
etwas, das sich in mir vorbereitet hat, ein mächtiges,
bildgewordenes Zeichen einer inneren Realität. Dabei spielen
viele Aspekte eine Rolle, besonders wichtig sind Licht und
Wetter. Ich kann mich einem Ort in einer sinnstiftenden
Begegnung nur nähern, indem ich Entsprechungen in meiner
Psyche dazu auffinde, indem ich einen Bezug von mir zu diesem
Ort herstelle. Andernfalls lässt er mich kalt, es findet
keine Begegnung statt. Dabei kann ich gar nicht anders, als
den Ort mit den Mitteln der menschlichen Wahrnehmung zu
interpretieren, denn andere sind mir nicht gegeben. Eine
Fledermaus etwa würde den Ort völlig anders verstehen. Da
ich also als ein Mensch des 21. Jahrhunderts
in die Natur gehe, bringe ich natürlich auch jenes Phänomen
mit, welches mich am entschiedensten von ihr abspaltet und in
mein einsames Exil zwingt: die Sprache. Mit
den Seidentüchern gehe ich als Mensch sozusagen waffenlos in
die Natur und bitte für eine kleine Weile höflich um
Aufnahme. Die Seiden werden, so erscheint es mir, von den
Orten akzeptiert, sie erscheinen nicht als Fremdkörper,
sondern fast wie dazugehörig. Sie integrieren sich in die
Natur, nicht als dominant, vielmehr als eines unter anderen.
Von diesem integrativen Moment wird ebenso die Sprache
berührt, die in der ständigen Bewegung mal auftaucht, mal
verschwindet und nur noch wie ein Flüstern die Assoziationen
nährt.
Sprache und Text sind eingewoben in den unaufhörlichen
Fluss der Formen und Bewegungen. Es
ist mir sehr wichtig, während der Installation nichts zu verändern
und möglichst wenig zu stören. Seit zwei Jahren gehe ich
dieser Arbeit nun nach und bin fast süchtig nach dieser Art
der Begegnung mit einem Ort, die stets sehr intensiv ist. Die
Texte auf meinen Tüchern stammen von mir, sie sind zumeist
von Psychologie und Philosophie inspiriert. Sämtliche
Installationen halte ich auch mittels Video fest, da die
Bewegung noch einmal eine völlig andere Erfahrungsebene
erschließt als das statische Bild. Gleiches gilt für die Künstlerbücher,
die zu jedem Motiv entstehen.
|
Kristina Ingvild Hofmann, Galeristin ... Tanja Leonhardts Thema ist die
Schrift als Zeichen und Medium im ästhetischen Kontext. Denn sie arbeitet im künstlerischen
Medium über Zeichen, die Aussagen formulieren und damit
Sinn herstellen. In Bibliotheken, in Archiven, in
Museen sammeln sich Bücher, Bilder, Kunstwerke,
Produktionen als verwobene Interpretationen von Welt. Zeichen verändern sich, ihr Sinn verändert
sich, ihre Verknüpfungen sind in Bewegung. „Die Bewegung der Zeichenkette“
(Derrida), so lautet der Untertitel einer Reihe von
Installationen der Künstlerin ausgehend vom Groß Gerauer
Bruchwald. Es sind Schriftzeichen auf Bannern aus
Seide, mit Gedichten, Text, Zeichnungen. Die Seiden werden
im Freien installiert und die einsetzende Aktion gefilmt. Seidensprache in der Natur. Es gibt ein
Vorher und ein Nachher. Die Natur, die Bäume, der Bach, der
Künstlerin Werk. Tanja Leonhardt sagt, sie kenne im
Bruchwald von Kind an jeden Baum, viele Tiere, alle Arten
von Wetter, von Licht und Atmosphäre. Die künstlerischen Mittel, die Seide,
die Schrift, der Text nehmen unter ausgewählten ästhetischen
Gesichtspunkten ihre Position ein und - schon tut sich was. Natur ereignet sich mit Kultur. Sie
werden nicht eins. Sie interagieren. Sie erzeugen etwas
Neues, etwas dazwischen. Die Kunst bleibt im Kontext der
Installation immer ein Angebot, keine Aneignung: Anhaltspunkte verknüpfen und
verwickeln sich, die Seide sorgt von ihrer Seite für
Transparenz, die Buchstaben und der Text geraten
durcheinander, halten Konferenz mit dem Betrachter, der das,
was er sieht, staunend mit neuer Bedeutung belegen kann. |
|
|
|
![]() |
Dr. Stefan Solten, Klingspor Museum EINSEHEN IN DIE
Natur ist auch das Thema für Tanja
Leonhardt. Aber weniger die Spekulation auf
„innen liegende“ Kleinstgegebenheiten holt sie vor
das Auge des Betrachters, vielmehr nimmt sie ihn mit
in die Natur, wie sie sich landschaftlich und als
dieser und jener Ort von besonderer Ausstrahlung
dargibt - so von der Künstlerin gesehen und als Bühnenraum
ihrer Inszenierung fotografisch festgehalten. Ihre
Eindrücke, stark auf ihr Empfinden gerichtet, gibt
Leonhardt in Texten zum Ausdruck, die sie überwiegend
selbst verfasst; und selbst von Hand, in Versalien,
aber meist in gebundener Handschrift erscheinen lässt.
Dabei kommt ihr die Ausbildung in Kalligraphie zugute
(ihre Lehrerin war Pamela Stokes, Mainz), die sie
allerdings ganz und gar aus den Klammern des
akademischen Schönschreibens befreit und frei
interpretiert in ihre künstlerischen Projekte
einbindet. Es entsteht ein Zusammenspiel von
Natursichtung, Fotografie, Texten, Schreiben und
Zeichnung, das ein ganz eigenes Gesamtbild auffächert.
Großformatige Bücher stehen im Mittelpunkt ihrer
Werke, zu denen Seidentücher gehören, die mit
besagten Texten beschrieben sind. Diese Tücher bettet
Leonhardt in die von ihr gewählten Landschaftsorte
ein, lässt sie mit ihnen verschmelzen und integriert
in zwingender Weise Ansicht, Bildwirklichkeit und
Schreibweise.
|
|
DIE FEIER des Augenblicks und
das Ertragen der Einsicht, dass er nicht über
unbestimmte Zeit hinweg anhalten sind Grundlage der
Ausstellung „nur von Augenblickes Dauer“ (aus:
Hermann Hesse, Was der Wind in den Sand geschrieben)
mit Arbeiten der vier Künstlerinnen Gabrielle
Hattesen, Ingrid Heuser, Tanja Leonhardt und Nora
Schattauer. Der einfache, geradezu
selbstverständliche,
Gedanke ist im Zusammenhang mit dem Buch und
der Schrift und ihren Erscheinungsformen
bemerkenswert und verlockend. Denn es steht dem ja
ein gegenteiliger Aspekt entgegen: Das Buch und das
Geschriebene werden als ausgesprochen festlegend und
festgelegt verstanden. Als Zeichen der Richtigkeit,
der Gültigkeit, des Unverbrüchlichen. So sind es
Gebote und Gesetze, die der Verschriftlichung zugeführt
und deshalb für gültig erachtet
werden. Im
Gesetzbuch, herausgehoben in der christlichen Sphäre
durch das Bild vom Weltenrichter
mit dem Buch des Logos zur Hand, ist die
Nachlesbarkeit garantiert und die Verabredetheit
dessen, was maßgeblich und geltend sein soll. Eine der Weisen, die diese
Gegebenheit differenziert, ist das speziell im
Mittelalter ins Bild gesetzte Spruchband. Nur zu
gerne spielen Künstler mit der Grenze zwischen der
guten Lesbarkeit des darauf Geschriebenen und dessen
Beeinträchtigung durch das sich kurvende, auf- und
abschwingende Stofftuch.
Plötzlich wandelt sich die unbedingte Lesart
in eine dem Moment geschuldete, geradezu flüchtige
Andeutung der Textbotschaft; und diese weckt eine
bestimmte Aufmerksamkeit, die sich gefordert sieht,
mit der Konditionierung umzugehen. Sorgfältiger,
schneller, augenblicklich hinschauen zu müssen
erbringt absehbar ein
genaueres, schnelleres, augenblickliches Erfassen
des Bemerkten. Offensichtlich hilft es dem
Schriftlichen zu einer besonderen Wirkung, wenn
seine Erscheinung aus dem Selbstverständlichen gelöst
und in eine Form des Unerwarteten, in eine Form des
geradezu Nicht-Warten-Könnens oder krass umgekehrt:
in eine Form des spezifischen Warten-Müssens
umgeleitet wird. Die Erschwerung, das Geschriebene
zu lesen, kann offenbar seine Erkenntnis –
erstaunlicherweise – vermehren. Es ist hier nicht der Platz,
den dazu enschlägigen Fallbeispielen der Geschichte
nachzugehen. Es soll lediglich
eine gewisse Grundlinie deutlich werden, an der
entlang die ausgestellten Arbeiten miteinander
korrespondieren. |
|
|