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Jahre, Jahre.
ist eine Arbeit über das Alter.
Es ist eine Mappe mit 17 Blättern “Silberburg-Hadernbütten” aus dem Jahr 2004, mit dem Tintenstrahl-Drucker bedruckt und von Hand beschriftet.
Ich wählte eigene Texte und Fotografien hierfür aus und ordnete sie einander zu. Die Bilder wurden dabei zunächst im Computer bearbeitet/verfremdet. Es handelt sich zumeist um Eis-Strukturen.
Danach gingen die Ausdrucke und die ihnen zugeordneten Texte in typografischer Form an Elisabeth Brabänder, mit der Bitte, die Texte in normaler Handschrift auf die Bilder zu schreiben. Zur Platzierung wurden keinerlei Vorgaben gemacht. Elisabeth Brabänder war zu dieser Zeit 92 Jahre alt. Sie war ihr Leben lang Hausfrau gewesen. Schon sehr früh hatte sie ihre Handschrift von der Deutschen Kurrent auf Lateinische Ausgangsschrift umgestellt, sie schrieb stets langsam und mit Sorgfalt.
Für die Beschriftung der 17 Blätter benötigte sie etwa zwei Wochen, sie verwendete dabei ihren gewohnten schwarzen “Stabilo-point” Filzschreiber.
Kurze Zeit danach verlor sie ihr Fähigkeit zu Schreiben.
"... Einen Gegenpol zum gedruckten Plakat bildet die zarte SchriftBild-Sequenz, die Tanja Leonhardt unter dem Titel "Jahre, Jahre!" geschaffen hat. Auf ihre sphärisch anmutenden Fotografien hat sie den Text, der Zeitlichkeit und Altern umschreibt, von einer 92jährigen Frau aufschreiben lassen.
Handschrift als Auftrag, Korrespondenz, die entsteht als: Eine schreibt durch die Andere - Inspiration, Exploration, im Zeitversprung, um die Lesart zu vertiefen."
Dr. Stefan Soltek in der Ausstellung des Offenbacher Klingspor-Museums "zeitRaum 05"
Das Original ist im Besitz des Klingspor Museums, Nachdrucke auf Anfrage.
hier blättert der Anzeigenwechsler
Die Texte:
1
Achte auf deine Himmel,
es kommen schon die
kleinen Motten
um sie dir von den Lippen
zu lecken.
2
Ein ums andere mal ins
Messer gelaufen,
selbst die Strumpfhose
geflickt,
die Zerfetzte,
Kunstgestopfte.
Die Nerven behalten.
3
Die Bilder,
die ich heute geatmet,
die auf meinen Wangen
lagen,
werden sie zu denen zählen,
die mir wieder
abhanden kommen?
Werde ich sie verlieren
In den zu weiten Maschen
Und Löchern meiner Seele?
4
Es sind meine eigenen
Rosensträucher,
die so dornig blühen.
Ich halte keine Worte
bereit
um sie einzudämmen.
Allem Niedertrampeln
halten sie stand.
Bemüht euch nicht.
Lasst sie einfach wachsen.
Es sind meine
leergehauenen Steine.
Es sind meine
wundgelegenen Becher.
Es sind meine ausgeräumten
Zimmern.
Es sind meine ungewagten
Fische,
die nie gesprungen.
5
Bitter vergessen
Das Leichte gelöscht
Jahre,
Jahre.
6
Ein gehäkeltes Wort
weit hinten im Mund.
Was ich sage, kehrt
entlaubt zurück.
In meiner Nebelwortecke
kein Wörterfrühling
Dinge, viel mehr als
geplant,
sickern in meine
Erinnerung ein.
Schon sind sie nicht mehr
zu entfernen,
kleine Käselöcher
hinterlassend.
Mit leisem Scheppern
ziehen sie
Ihre Ketten hinter sich
her.
8
All die Ringe in seinem
Gesicht.
Ich tauche nach ihnen
Schon solange Zeit.
Du fängst sie nicht ein.
Du fängst sie.
9
Schon liegen Schatten
Über den Bergen und Hügeln
und ein Überwinden
scheint mir ungewiss.
Tief unter mir halte ich
deine Hand verborgen,
herzwarm,
erdfern,
ringlos.
10
Einmal, da hatten wir
geheiratet.
Einmal hatten wir uns
lieb,
einmal waren die Tage
umsonst
und das Porto frei.
11
So ist das,
wenn man das Gefühl
der Hände des anderen
verloren hat.
12
Ja, das hast du gesagt,
ich war feste
eingeschlafen,
fast 12 Jahre lang.
Während die anderen
sogleich anfingen,
musste ich erst gewisse
Mauern überwinden.
Du hast es gesagt.
13
Man kann nur feiern,
was man gelebt hat.
Im Sommer bin ich 7
geworden.
14
Nimm nur!
Nimm recht viel von dem
Kuchen!
Er ist gut, nicht?
Ich weiß nicht, wer ihn
Gebacken hat.
15
Es gibt keine jene,
es gibt keine diese,
ich habe sie doch alle
ausgewischt,
als ich noch ganz klein
war.
16
Aber meine Lebensbäume,
wer wird sie gießen?
17
Wir haben fast alles
falsch gemacht.
Wie wir die Mutter
schalten!
Ach Schwestern,
weiß denn keine von euch,
wie tief das Wasser ist?
Der Regen wischt euch alle
fort.
Ich bin allein,
hört doch!
Hört doch!