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Über all meinen Erzählen
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Bilder & Texte von 1994 - 2004 20 x 20 cm, 60 Seiten, 2004 Buchschraubenheftung Decke: bedrucktes Regentleinen
Eine Natur-Installation mit diesen Texten ist hier: Seidensprachen in der Natur
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Alles hat einen
Aus-Punkt,
einen An-Punkt. Wir fragen den gelben Marienkäfer, manche nennen ihn Glückskäfer. Frage ihn! Seine beiden Punkte werden dir Rede und Antwort stehen. |
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Alle Nähte
offen.
Alle Kinder geholt. Alle Skalpelle zur Seite gelegt. Ich wende meinen Kopf und blicke durch das leere Morgenfenster.
Direkt vor diesem Gemäuer steht eine Mauer.
Genau zu dieser Stunde singt eine Amsel. |
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So sieht mein
Tausch also aus.
So sieht mein Hund aus, so sieht meine Katze aus, so sieht mein Kind aus. So sieht mein Tausch also aus. |
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Die
Sonne blickte strenge als Maman
aus ihrem Strahlenkranze, doch liebte hell den Mond... über all meinem Erzählen bist du eingeschlafen. |
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Direkt vom Mond
kommen meine Signale.
Auf meinen Lippen schläft das Knabenwort, die Berggeister sind gebannt.
In deine Taschen stopf´ ich Eicheln damit du auf deinem Weg die Mäuse füttern kannst oder vom Häher die blaue Feder tauschen.
Alle dienstbaren Geister sollen dir gewogen sein. |
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Tochter, deine Finger tasten nach meinem Gesicht. Unsere Haut ist verknüpft, verkendelt. Meine Hände zerreißen, wenn ich sie von dir nehme. Du wächst nicht in meinem Bauch, du wächst in meinem Rückenmark. Nachts flüstere ich dir unser Leben ins Ohr, täglich rinne ich mehr in dich.
Wo sind meine Halteschnüre? Ich finde sie alle durchtrennt. |
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Während die Nacht noch über deinen Rücken zieht, nähere ich mich deiner Hand bis in alle Ferne. Am Morgen wirst du dich strecken und groß wie ein Haus sein. Über den Gartenzaun blickst du in eine Richtung, von der ich in der Zeitung gelesen habe. Wie der Wind trägst du meine Schuhe, meinen Eifer und mein Parfum davon. Die doppelt geknotete Frage auf der Zunge entwirrst du dich aus meinem Gesicht. Nichts als Narben werde ich übrig behalten. |
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Meine Tochter ist
die Schaumgeborene,
meine Tochter führt den nächtlichen Rein. Sie nimmt mich mit in ihr Sandbett, ihre Sandträume. Von ihren Lippen fliegen Küsse und während ich noch nach ihrem Kleid grabe, wachsen Mirabellen an ihrem Hemd. |
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Gerade eben
wußte ich noch so viele Anfänge. Ich hätte aus dem Stand so viele Lieder zu singen gewußt.
Gerade eben war ich mir noch sicher, dich morgen küssen zu können. |
Ein Vorwort zu diesem Buch schrieb Frau Dr. Siglinde Hohenstein, der ich sehr dankbar bin: Vorwort Die Künstlerin Tanja Leonhardt gewährt in dem vorliegenden Band Einblick in ein Mutterdasein, das sie reflektierend erkennt und gestaltet. In der Entfaltung und Entwicklung sowohl zweier Kinder als auch der Mutter zeigt sich die Dynamik des Lebens, vom Widerspiel der Zweiheit angefeuert, besonders ausgeprägt. Bei Tanja Leonhardt tritt sie in komplexer Vielfalt, die alle ihre Arbeiten kennzeichnet, in Erscheinung. Wort und Bild werden einander gegenüber gestellt, aber inhaltlich verschmolzen wie das All-Eine, als das wir uns das Weltganze gerne denken. Bei einer Künstlerin wie dieser gründet das tief.
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Die Kinderbilder sind nach realen Modellen, in deren Anblick sich die Künstlerin versenkt hat, gezeichnet. Sie sollen ihnen unbedingt, um ihrer selbst willen, ähneln. Es sind die Porträts der eigenen Kinder, in denen sich deren Eigenart in Haltung, Mimik und Gestus bis zum außergewöhnlich Einmaligen äußert und eine Entwicklung von neun Jahren spiegelt. |
Bei aller Versenkung in ihr Wesen stellen sie sich der Mutter als von ihr losgelöste Persönlichkeiten dar, als Gegenüber. Dass wir Kinder im Werden vor uns sehen, erschließt sich in der künstlerischen Form. Die Porträts werden skizzenhaft erfasst, in ihrer Lebendigkeit zuerst ohne feste Umrisse, in bezeichnenden Augenblicken, in denen Wesentliches flüchtig und schwer fassbar in Erscheinung tritt. Mit fortschreitendem Sichselbstwerden gewinnen sie Kontur und Prägung. |
Den
Bildern stehen Worte gegenüber, frei assoziierende Verse in ungebundener
Form, in denen sich die Mutter äußert. Staunen, Entzücken und
Zärtlichkeit, Betroffenheit und Trauer, in Ich-Form verfasst, lassen
keinen Zweifel an Mutter und Kind als einem Gegenüber. Gleichzeitig
weisen sie auf ein zuvor Gewesenes hin, auf das Kind als einstmals in die
Mutter eingebettet und mit ihr verschmolzen. "Tochter, ... Du wächst
nicht in meinem Bauch,/du wächst in meinem Rückenmark./Nachts flüstere
ich dir unser Leben ins Ohr,/täglich rinne ich mehr in dich. ..."
Dem stehen Loslösung, Getrenntsein und beginnendes Eigenleben gegenüber:
"Leis´ weint der Graureiher zu uns herüber, .../Sein Blick fragt
mich: Wo ist dein Kind?/Ich sage: Mein Kind ist mit den Kranichen gezogen,
..." Aus diesen Erkenntnissen wachsen mütterliche Fürsorge und
Entsagung bis zur Selbstverleugnung: "Lasst mich fallen!/Ich sehne
mich zu zerspringen./Klebt mich nicht wieder zusammen,/nicht als alte
Kaffeekanne./Lieber streut mich/auf einen schadhaften Feldweg." Die
Kinder wollen es so, es ist ihre Natur zu wachsen. So wird die Mutter zur
Mater dolorosa.
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Was
sich uns hier erschließt, ist eine wahrhaftige Hommàge an Mutter und
Kind. Im gleichen Maße, wie das Kind zu sich selbst heranwächst und
feste, eigene Umrisse gewinnt, wächst die Mutter über sich selbst
hinaus. Das mütterliche Band der Liebe und Fürsorge, das beider Dasein
umschlingt, löst sich. Die Mutter verliert sich in selbstloser Liebe, die
sich weitet, die ganze Fülle des Seienden umfängt und dem Kind Freiheit
gibt. Für Tanja Leonhardt spiegelt sich diese Fülle in der Natur:
"... Alles hat einen Aus-Punkt, einen An-Punkt./Wir fragen den gelben
Marienkäfer,/manche nennen ihn Glückskäfer./ Frage ihn!/Seine beiden
Punkte werden dir/Rede und Antwort stehen."
Die Zweiheit eint sich auf Flügeln. Ahnungsvoll lässt die Künstlerin Transzendenz und Erlösung des Menschseins von der Erdenschwere in dieses schlichte Bild fließen. |