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Gedenkstele des Kreises Groß-Gerau
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Am 15. 11. 2013 wurde im Landratsamt des Kreises Groß-Gerau eine Gegenkstele enthüllt, die der renommierte Künstler Dr. Horst Hoheisel entworfen hat. Mit diesem Mahnmal wird an die von den Nazis deportierten und ermordeten psychisch kranken und geistig behinderten Menschen erinnert, die aus dem Kreisgebiet stammten oder hier ihren letzten Aufenthalt hatten. Ihre Namen finden sich außen an der Stele sowie in einem Künstlerbuch, das in der Mitte der Vitrine ruht. In diesem von mir gestalteten Buch sind alle überlieferten Namen und Daten festgehalten. Den Opfern ihren Namen und somit ihre Identität und Würde zurückzugeben ist Ziel dieser künstlerischen Arbeit.
Auch hier erläutert: gg-online sowie hier: Hoheisel - Knitz
Fotos aus der Aufbauphase
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Breite:23 cm Höhe:23cm 100 Seiten aus "Masa" Japanpapier 5-teilige Decke, Buchschraubenheftung Einband: Leinen / Seide Handschrift
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Im oberen und unteren Bereich der
Stele
liegen leere Aktendeckel, analog zu jenen, in welche die nüchternen Akten und Todesbefehle der Opfer geordnet wurden.
Vorwort im Buch: |
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Artikel
1 Grundgesetz Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Der
Kreisausschuss der Kreises Groß-Gerau hat den Beschluss
gefasst, den in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten
seelisch kranken und geistig behinderten Menschen ein Gedenken
zu setzen. Den Toten ihre Namen und damit Identität und Würde zurückzugeben, ist uns Mahnung und Verpflichtung zugleich.
Kreisausschuss des Kreises Groß-Gerau November
2013
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(Vorwort verfasst von der
Historikerin Heidemarie Seidl, die das Projekt
wissenschaftlich betreut hat)
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der Aktenstapel verrutschte beim
Aufbau, ergoss sich ins Landratsamt
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Der Titel "Wohin bringt ihr
uns?"
ist die Frage eines der Opfer beim Einstieg in den grauen Bus, der die Kranken zu den Gaskammern fuhr. |
Details
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Das Titelschild ist aus einer
Original-Taufurkunde von 1904 geschnitten.
(kein Artefakt aus dem Projektdatenbestand sondern aus meiner Privatsammlung) Auf der Rückseite ist noch der Frakturschriftzug zu erahnen "Die Taufe". Auch auf solchen Blättern standen einst die Namen aller Ermordeten. |
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Die Handschrift des
Titelschildes ist angelehnt an die Kopien der
handschriftlichen Blätter, auf denen ein junger Mann, der
ebenfalls ermordet wurde, seinen Lebenslauf notiert hatte.
Das Buch liegt unmittelbar vor diesen Handschriften. |
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Die dünne Pongé-Seide wurde
zuvor im unteren Bereich grau gefärbt. Man mag in den
Strukturen Vegetabiles sehen oder sich an Rauch erinnert
fühlen.
Ich höre dabei Celans "Todesfuge": ...dann steigt ihr als Rauch in die Luft
oder Nelly Sachs: Aber vielleicht haben wir vor Irrtum Rauchende doch ein wandelndes Weltall geschaffen mit der Sprache des Atems?
und: kein reines Weiß auf Erden. |
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Im Gegensatz zu den
Aktenordnern ist die Oberfläche des Gedenkbuches
unsicher. Da die Seide nicht festgezurrt und -geleimt
ist, sondern nur an den inneren Rändern (im Vorsatz)
und den Buchschrauben fest mit dem Deckel verbunden ist,
wirkt sie lose, flatternd. Nimmt man das Buch in die
Hand, hat man keinen festen Halt sondern eine
Unsicherheit im Greifen. Die lose Seide erlaubt nur ein
vorsichtiges, tastendes Greifen. Das liegende Buch
vermittelt Zartheit und Verletzlichkeit, die einen
Zugriff fragwürdig und bedenkenswert erscheinen lassen.
Man kann sich ihm nur mit Vorsicht nähern.
Fällt das Sonnenlicht am Vormittag auf die Seide, leuchtet, ja gleißt das Buch. |
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Reflexionen Man mag es einfach nur als naheliegend erachten, dass in dieser Arbeit Namen und Portraits verwendet werden. Wenn ich aber diese beiden Elemente philosophisch hinterfrage, öffnen sich mir zwei doch sehr kostbare Sichtweisen:
Als
Schriftkünstlerin fand ich wichtige
Gedanken zu Sprache und Namen bei
Walter Benjamin im ersten Aufsatz des
Angelus Novus : "Über Sprache überhaupt
und über die Sprache des
Menschen".
Hier
gibt es die wunderbaren Sätze:
"...
im Namen teilt sich das geistige Wesen
des Menschen Gott mit."
und
"Benannt
zu sein, bleibt vielleicht immer eine
Ahnung von Trauer".
Auch
wenn sein Sinnhorizont dabei wesentlich
weiter gespannt ist - ich beziehe
diese Sätze stets auch auf Eigennamen.
Besonders
eindringlich blicken mir die Gesichter
entgegen. Als ich eine Ausstellung zu
verfemten Frauen
der Nazizeit gemacht
habe, verließ ich mein Terrain der
Schrift und arbeitete auch mit dem
Portrait. Dabei war mir Emanuel Lévinas
eine wichtige Inspiration. Er fordert
uns auf,
In der Skulptur haben wir nun also drei machtvolle Statthalter der Person: Antlitz, Namen und natürlich Handschrift. Darum ist sie für mich ein sehr gutes, angemessenes und würdiges Mahnmahl. Und ich freue mich sehr und bin stolz, dass ich dabei mitwirken durfte! ![]() Foto: Pilgerstorfer
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Nachtrag
Bei der Eröffnungsfeier der Stele, links hinter den Musikern, im dunklen, bodenlosen Luftraum über dem Foyer, flatterte während der letzten Musik ein kleiner weißer Falter. Kein Schmetterling, nur ein unscheinbarer, heller Nachtfalter. Im Landratsamt im November 2013 |
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